Was sind Slow Food Lebensmittel und die Arche des Geschmacks? In regionalen Vereinen und Verbänden engagieren sich Menschen für den Erhalt regionaler Lebensmittel, Gerichte und Produkte, Gemüse- und Obstsorten oder einheimischer alter Nutztierrassen.

Traditionen und die Arche des Geschmacks

Gerade in Großstädten wird immer weniger gekocht und gemeinsam gegessen. Das Wissen um und die Achtung vor Lebensmitteln gerät zunehmend in Vergessenheit. Daher ist es von immenser Bedeutung die Geschmackserziehung von Jung und Alt voranzutreiben. Slow Food gibt Informationsmaterialien, Restaurantführer und Bücher zum Thema heraus. Die weltweite Non-Profit-Organisation bietet eine Plattform für Austausch und Kontaktaufnahme.

Lokale Gemeinschaften gibt es in 130 Ländern. Mit Terra Madre gibt es seit 2004 einen Zweig, der die so genannte Dritte Welt miteinbezieht und deren Produzenten unterstützt. Am stärksten engagiert für Qualität und die Arche des Geschmacks für geschmackliche Vielfalt sind Italien, Deutschland und die USA.

Ein großes Anliegen ist der Erhalt der Artenvielfalt unserer Erde. Im letzten Jahrhundert gingen in Europa 75 % aller Lebensmittelarten verloren, in den USA sogar 93 %. Slow Food hat eine Stiftung für biologische Vielfalt gegründet, die weltweit Passagiere in die Arche des Geschmacks aufnimmt, um sie vor dem Aussterben zu retten.

Dabei handelt es sich um existentiell bedrohte Nutztierrassen, Gemüse- und Obstsorten, Nutzpflanzen, aber auch traditionelle oder typische, handwerklich hergestellte Lebensmittel und Gerichte, die von erstklassiger Qualität sind, eine lange Historie sowie identitätsstiftenden Charakter und nachhaltiges Potenzial für eine Region aufweisen. Die Passagiere für die Arche des Geschmacks müssen zunächst gesammelt, beschrieben und archiviert werden.

Vielerorts bildeten sich Unterstützerkreise für einzelne Produkte heraus, die an einer Verbesserung der Situation der Passagiere arbeiten und sie aus ihrer wirtschaftlichen Bedeutungslosigkeit herausholen. Manche der Schützlinge sterben nämlich aus, weil sie für die industrielle Verarbeitung nicht geeignet sind.

Slow Food Lebensmittel in Deutschland

Das Bunte Bentheimer Schwein z. B. nimmt nicht schnell genug zu. Die Bamberger Hörnla sind so klein, dass sie durch den Kartoffelvollernter fallen. Der Ostheimer Leberkäse, eine Spezialität aus der Bayrischen Rhön wird nur noch von drei Metzgereien in Ostheim traditionell hergestellt.

Seit 1992 bildeten sich in Deutschland rund 60 Convivien, so heißen die lokalen „Tafelrunden”, die unterschiedlichste Aktivitäten organisieren. Vom Kennenlernen von Produkten und Erzeugern über Treffen und kulinarische Events bis hin zu Geschmackserziehung und Kampagnen für eine neue Agrar- und Esskultur. Die Vielfalt ist das große Potenzial dieser Bewegung, die ihre Ansprüche an Qualität und Genuss lebt und zugleich in der Öffentlichkeit vertritt.

Der Weißlacker ist ein nur im Allgäu vorkommender Käse. Wie der Würchwitzer Milbenkäse (Sachsen-Anhalt) und der Nieheimer Käse hat er eine lange Tradition, die fast schon vergessen war.

Das Filder-Spitzkraut ist wegen seiner Form mechanisch schwierig verwertbar und kaum mehr in den Geschäften zu finden, obwohl es geschmacklich dem runden Weißkohl überlegen ist.

Je nach Art des Passagiers sind verschiedene Lösungsansätze gefragt: Die Nordhessische Ahle Wurscht z. B. zählt zu der Gruppe von traditionellen Produkten, die durch zunehmende Industrialisierung des Fleischerhandwerks an sensorischer Qualität oftmals verloren hat. Ein durch Slow Food initiierter Förderverein, in dem sich die Produzenten nun organisiert haben, arbeitet gegen diese Tendenzen.

Der erste Schützling in der Arche des Geschmacks

Die Schützlinge bieten interessante Geschmackserlebnisse, so auch der Schaumwein aus der Champagner Bratbirne, dessen Herstellung in Württemberg bereits seit 1760 bekannt ist und als erstes Produkt Süddeutschlands in die Arche des Geschmacks Aufnahme fand.

Die Frucht grenzt sich im Geschmack deutlich von anderen Weinbirnen sowie Bratbirnen (Welsche-, Vaihinger-, Metzger und die meist anzutreffende Blaue Bratbirne) ab. Seit über 200 Jahren die örtlichen Streuobstwiesen prägend, ist sie ein wesentliches Element der Kulturlandschaft.

Slow Food, verbraucher und regionale LebensmittelImmer noch selten, aber nicht mehr direkt vom Aussterben bedroht, bewirtschaften mittlerweile ca. 150 kleinbäuerliche Betriebe die Streuobstbestände. Einer davon ist Jörg Geiger, der in seiner Manufaktur zahlreiche Weine und Destillate aus der Birne herstellt. Im Gasthof Lamm in Schlat bei Göppingen bietet er Gerichte zu seinen Erzeugnisse, die Tradition mit kreativer Küche verschmelzen, so z. B. das Filet vom Schwäbisch-Hällischem-Schwein – ebenfalls ein Archepassagier – gefüllt mit Birnen-Backpflaumen oder die Perlhuhnterrine auf Champagner-Bratbirnen-Gelée.

Streuobstwiesen Bad Birnbach / WolfraIn ganz Deutschland finden sich Lebensmittel und Gerichte, die es verdienen, dass sie auch spätere Generationen noch kennen lernen.

Helfen Sie mit und beginnen Sie die Archepassagiere zu essen, um sie so vor dem Vergessen zu retten. Und wem seine Gesundheit und die seiner Kinder lieb ist, sollte bei der Auswahl seiner Lebensmittel auf Qualität achten, nicht nur auf Tiefpreisangebote.

Was kann ich tun?

– mit regionalen und saisonalen Produkten kochen

– Erzeuger aus der Region kennenlernen

– beim Einkauf auf Qualität achten

– mehr Slow Food Lebensmittel beim Bauern und auf dem Markt kaufen

– die Produkte im Supermarkt vergleichen anhand der Zutatenliste

– Ihren Geschmack und den Ihrer Kindern schulen

– die Produkte und Gerichte aus der Arche des Geschmacks verwenden

– neue Archepassagiere vorschlagen

– an einem Slow Food Lebensmittel Event teilnehmen

Mitglied werden oder eine Rebstock-Patenschaft übernehmen

Archepassagiere aus Deutschland

Alblinse, Albschneck, Bamberger Hörnla, Blauer Frühburgunder, Buntes Bentheimer, Champagner Bratbirne, Diepholzer Moorschnucke, Heidschnucke, Filder-Spitzkraut, Hinterwälder Rind, Murnau-Werdenfelser Rind, Musmehl, Nieheimer Käse, Nordhessische Ahle Wurscht, Ostheimer Leberkäs, Rhönschaf, Schwäbisch-Hällisches Schwein, Tauberschwarz, Weideochse vom Limpurger Rind, Weißlacker, Würchwitzer Milbenkäse.

Lesen Sie hier Teil 1 unseres Dossiers über die Gründung von Slow Food in Italien und die Bedeutung für heimische Slow Food Lebensmittel.

Text: Verena Wagner
Fotos: Slow Food Deutschland e.V.

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