Marc Chagall in Zürich entdecken gelingt mit seinem Gönner und Sammler Gustav Zumsteg. Aber auch im Luxushotel ” Baur au Lac ” hat er Spuren hinterlasen. Hier lebte Marc Chagall in Zürich, während er an den Kirchenfenstern im Fraumünster arbeitete.

Gustav Zumsteg: Gönner von Marc Chagall in Zürich

Gustav Zumsteg war Seidenhändler und Inhaber des legendären Restaurants „Kronenhalle“ an der Rämistraße 4 in Zürich. Bekannt ist das Lokal neben Zürcher Geschnetzeltem, Burgunder Wein und Mousse au Chocolat bis heute für die vielen wertvollen Bilder, die Gustav Zumsteg dort aufgehängt hat – seine Wohnung über dem Lokal war zu klein für die Schätze. Bereits 1947 war der Kunstliebhaber der Vereinigung Zürcher Kunstfreunde beigetreten. 1963 wurde er Mitglied des Vorstands der Zürcher Kunstgesellschaft und 1975 Präsident der Sammlungskommission.

Marc Chagall in ZürichDoch wie kamen seine Bilder zum Sammler? Zumsteg war nach dem Krieg in der Hierarchie der Seidenfirma Abraham aufgestiegen und hatte geschäftlich viel in Paris, New York, London, Rom und Madrid zu tun. Daraus entstanden tiefe Freundschaften mit Christian Dior, Coco Chanel und Yves Saint Laurent.

Nicht nur die Welt der Mode, sondern auch die der Kunst hatte sich ihm durch seinen Beruf und seine Reisen eröffnet. ­Gustav Zumsteg wurde ein leidenschaftlicher Verehrer der Malerei und sammelte wie im Rausch. Unter den Augen seiner stolzen Mutter Hulda schmückte er die Wände der Kronenhalle mit den Bildern ­großer Meister wie Georges Braque, Joan Miró, Robert Rauschenberg, Giovanni ­Giacometti, Jean Tinguely, Pablo Picasso – und Marc Chagall. Viele Werke tragen persönliche Widmungen und geben Zeugnis von inniger Zuneigung der Künstler für ihre Gastgeber.

Künstlertreff Restaurant Kronenhalle

Schnell wurde die Kronenhalle zum Treffpunkt von Schauspielern, Dichtern und Prominenten. Zu den bekannten Besuchern des Restaurants gehörten James ­Joyce, Wladimir Horowitz, Oskar Ko­koschka, Lauren ­Bacall, Andy Warhol, Golda Meir und ­Günter Grass. Stammgäste waren außerdem Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt.

Wer die Kronenhalle betritt, den zieht zuerst das lebensgroße Varlin-Porträt von Hulda Zumsteg in einer Balenciaga-Robe mit wertvollen Preziosen in den Bann. Die imposante Frau trägt das Modell mit unvergleichlicher Grandezza und wacht wie eine Königin über ihr Reich.

Leibgerichte und Pinselstriche

Marc Chagall hat ihre opulente Speisekarte nicht nur mit zarten Strichen verschönert, sondern sie auch zu ihren hohen Geburtstagen besucht. So ist überliefert, dass er sie zärtlich „ma soeur“ – meine Schwester – und Gustav Zumsteg „mon fils spirituel“ – mein Sohn im Geiste – nannte.

„Hühnchen, Lamm und Kaviar waren sein Leibgericht“, erzählt Geschäftsführer Andreas Wyss. „Dazu gab es natürlich Wodka.“ 1974 kaufte Zumsteg von Marc Chagall den „Sonnenuntergang“.

Zur Legende wird die Kronenhalle als ­Mutter und Sohn diese Welt verlassen. „Doch beide haben nach guter Schweizer Art vorgesorgt“, so Andreas Wyss. Es gibt eine Hulda und Gustav Zumsteg-Stiftung, die bis ins kleinste Detail bestimmt, was mit der Kronenhalle zu geschehen hat. Denn dieses besondere Lokal soll genau so weiterleben. Ein menschliches Monument der Gastlichkeit, oder wie ­Gustav Zumsteg sagen würde: „Sans pareil“ – einzigartig.

Der Künstler Marc Chagall

Marc Chagall war ein produktiver Künstler, dessen erfolgreiche Kar­riere ­lange gedauert hat. Mit weit über 90 Jahren starb er im französischen Saint-Paul-de-Vence. Wer an ihn denkt, hat vor allem schwebende Liebespaare mit Blumen und Eiffelturm vor Augen. Weniger bekannt ist allerdings sein Frühwerk. Jahrzehntelang überstrahlte dieses die farbenfrohe Welt, die er später in seinem Leben malte.

Im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen entwickelte er eine Kunst, die sowohl seine jüdisch-russische Kultur als auch die „Ismen“ seiner Zeit in Paris (Kubismus, Fauvismus und Orphismus) und danach in Russland (Suprematismus und Konstruktivismus) zum Ausdruck bringt. Dabei mögen Heimweh oder Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln im jüdischen Schtetl sein Beweggrund gewesen sein: „Ich versuche, Schichten seelischer Wirklichkeit auf die Leinwand hinüberzutragen und sie dort abzulegen“, hat er selbst einmal gesagt.

Marc Chagall als Bühnenbildner

Regelmäßig war Marc Chagall auch als Bühnenbildner tätig. Unter den Wandbildern, die er 1920 für das Jüdische Theater in Moskau malte, ist auch die interessante Komposition „Das Hochzeitsmahl“. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um das längste Stillleben der Welt, auf dem Chagall Speis und Trank auf einer Hochzeitstafel anordnet – ein Huhn, ein Fisch mit einem seltsamen Kopf, einen Mann auf einem Teller sowie rituelle koschere Gerichte. Als ob er den Abschied geahnt hatte, legte er in diese Bühnenbilder die ganze Kraft und Macht seines Talents. Meret Meyer, die Enkelin des Malers, verdeutlicht: „Marc Chagall war ein bewusster Träumer, alles ist konstruiert.“ Aufgrund glücklicher Um­stände wurden diese Meisterwerke Chagalls in der stalinistischen Epoche nicht zerstört, sondern kamen in die Tretjakow-Galerie.

Marc Chagall in Zürich

Wer auf den Spuren von Marc Chagall durch Zürich spaziert, sollte einen Stopp in Fraumünster einlegen.

Die ehemalige Klosterkirche ist eines der Wahrzeichen der Stadt und geht auf eine Stiftung von Ludwig des Deutschen, einem Enkel Karls des Großen im 9. Jahrhundert, zurück. Vor allem Frauen aus dem Hochadel wurden gegen Zahlung einer Mitgift in da Kloster aufgenommen, in dem sie zwar nach der Ordensregel der Benediktiner lebten, aber auch das Recht hatten, auszutreten und zu heiraten.

Ab 1967 wurde der Chorraum aus dem ­13. Jahrhundert mit fünf Glasfenstern von Marc Chagall ausgestattet. 1978 schuf der Künstler außerdem ein Fenster für die Rosette des südlichen Querschiffs. Marc Chagall hat viele Themen eingebaut, z. B. das Alte Testament, die Himmelsleiter, die Propheten und die Passionsgeschichte. Der Schweizer Bauunternehmer Hatt stiftete die Fenster. „Chagalls Fenster sind Predigten in Bildworten“, erläutert der Pfarrer Niklaus Peter. „Übers Auge gelangen sie in die Seele, in den Weltinnenraum, wie Rainer-Maria Rilke es treffend genannt hat.“

Verewigt im Hotel Baur au Lac

Ohne Input kein Output. Deshalb sind ­Kaffee und Kuchen in der Hotelhalle von Baur au Lac ein weiteres „Muss“ für jeden Chagall-Liebhaber. Das Hotel liegt nur einen Katzensprung von Fraumünster entfernt. Seit der Eröffnung 1844 führt Familie Kracht das Hotel in der sechsten Generation. Damit ist es das weltweit älteste Luxushotel, das noch im ­Besitz seiner Gründerfamilie ist. 1856 feierte Richard Wagner hier die Uraufführung des ersten Aktes seiner Walküre.

Dreimal hat Marc Chagall in Zürich dort übernachtet, in den Marc Chagall in ZürichJahren 1965, 1979 und 1983. Nachzu­vollziehen ist dies durch seine Eintragungen und Zeichnungen ins goldene Buch des ­Hotels.

„In seiner Suite arbeitete Marc Chagall in Zürich an den Glasmalereien für die Kirchenfenster von Fraumünster. Sein Pinselstrich bespritzte alles“, berichtet Hoteldirektor Wilhelm Luxem. „Oft hinterließ die Farbe Flecken auf dem Spannteppich. Jedes Mal nach seiner Abreise wechselte man ihn aus. Leider ist von diesen Fragmenten, Spuren eines spontanen Schaffens, nichts erhalten.“

Luxushotels in der Schweiz

Trotzdem ist es ein Genuss, in der Hotelhalle zu verweilen. Neben köstlichen Obsttörtchen mit frisch geschlagener Sahne lassen sich hier die Krea­tionen der zwei hauseigenen Floristinnen bewundern. Mit über 1.000 Schnittblumen werden die Räume täglich dekoriert. So erinnert das üppige Arrangement aus orangefarbenen Lilien und Flamingoblumen im Zentrum der Hotelhalle an die farbenfrohe Kunst Chagalls. Marc Chagall hat einmal gesagt: „Wenn ich aus dem Herzen heraus arbeite, gelingt fast alles.“

Mehr über die Luxushotellerie in der Schweiz finden Sie in diesem Artikel.

Text: Sonja Schön
Fotos: Kronenhalle, Baur au Lac, Sonja Schön,
Titelbild: © Zürich Tourism_Rubiano Soto
Chagall Gemälde: ProLitteris, Zürich

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