Nirgends auf der Welt schweben Flugzeuge so tief über die Köpfe hinweg und werden bejubelt wie Popstars. Doch es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Eigenheiten auf der Karibik-Insel St. Martin, über die wir hier berichten. St. Martin ist aber nicht nur eine Insel, auf der angesichts der Tiefflieger der Atem stockt, sondern auch eine Insel zum Durchatmen.

Karibik-Insel St. Martin: Insel zum DurchatmenMaho Beach ist kein sonderlich schöner Strand. Trotzdem ist er voll, denn die Besucher warten auf ankommende Flugzeuge. In der Beachbar gibt’s Bier, Cocktails und die Ankunftszeiten. Je größer die Maschinen sind, desto lauter und greifbarer wird das Spektakel. Die Leute winken, machen Selfies, drehen Videos, kreischen wie beim Pop-Konzert.

Karibik-Insel St. Martin: Insel zum Durchatmen
Cockpitcamera beim Anflug auf St.Martin

Und in der Kabine denken alle: Hoffentlich kommt die Landebahn noch … So tief fliegen die Maschinen ein – nur etwa 20 bis 25 Meter über die Köpfe der Maho-Besucher. Da fliegen Hüte, Strandtücher und Cocktailbecher weg wie beim Sturm!

Je größer der Flugzeugtyp desto tiefer der Anflug auf den Princess Juliana International Airport, weil die Maschine aufgrund der kurzen Landebahn sofort aufsetzen muss. Derzeit ist der größte Maschinentyp der Airbus A 330, geflogen von Air France und KLM. Beide sind die großen Stars; alle anderen Flugzeuge nur Vorgeplänkel.

The Friendly Island

Karibik-Insel St. Martin: Insel zum DurchatmenDas liegt daran, dass der Tourismus, von dem neben dem Handel fast alle leben, etwas angenehm Unaufgeregtes hat. Er ist ein Teil des Lebens: ohne Angaffen, ohne Anmachen, ohne unzählige und nervige Strandhändler, ohne gierige Taxifahrer, ohne überall lauernde Drogen-, Sex- und Souvenirverkäufer.

Kein Ghetto-Tourismus wie politisch angeordnet (auf Kuba), wirtschaftlich gewollt (auf Jamaika) oder wie er sich im Laufe der Zeit eingebürgert hat (in der Dominikanischen Republik).

St. Martin ist kein Gimme-A-Dollar-Land. Jeder Besucher kann ohne Wegezoll überall hin, wann und wie er will, sicher, ohne Bedrängnis.

„The Friendly Island“ steht auf allen KFZ-Kennzeichen. Und das ist keine Übertreibung! Trotzdem ist die Insel noch immer ein weißer Fleck auf der touristischen Landkarte, zumindest im deutschsprachigen Raum …

Karibik-Insel St. Martin: Insel zum Durchatmen
Orient Bay

Es ist um Mittag. Der Himmel ist strahlend blau. Eine schwüle Hitze hat sich über die Baie Longue gelegt. Luft 30, Wasser 28 Grad. Die Urlauber schwitzen in ihren Liegestühlen, schlürfen Kokosnüsse oder Rumpunsch oder beides – und sind sichtbar glücklich, sogar mit Sonnenbrand.

Am Wassersportcenter wird alles Mögliche angeboten. Handtücher liegen verknüllt im Sand, ein paar Kinderschäufelchen, Bälle, anderes Spielzeug und auch das eine oder andere Buch. Eines liegt aufgeschlagen im Sand. Eine Seite bewegt sich sanft im Wind. Da ist einer eingeschlafen! Vielleicht sogar bei einem guten Krimi! Ist das nicht herrlich!

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Marigot Bay

Für die einen ist ein Strand einfach nur Sand am Meer. Man badet und sonnt sich. Fertig. Für andere sind Strände eine Art Weltanschauung.

Wobei die Beschaffenheit und die Farbe des Sandes so wichtig sind wie bei Miss-Wahlen die Maße. Auch Strandlänge, Meeresfarbe, Kulisse und Sauberkeit sind relevant für die höchste Kategorie: Traumstrand. Und davon gibt es neben der Baie Longue (Bild ganz oben) ein paar auf St. Martin: Die Orient Bay gehört dazu, die Happy Bay oder die Strände auf dem kleinen Pinel Island.

Leguan-Tree

Mittagszeit herrscht auch bei den Leguanen in der Nähe vom Dawn Beach. Dort haben sich Dutzende in einem Gebüsch an einem Weiher angesiedelt und sich so perfekt getarnt, dass man erst bei genauem Hinsehen die Echsen erkennt: erst eine, dann zwei, zehn, 20 und mehr, viel mehr.

Karibik-Insel St. Martin: Insel zum DurchatmenAuf St. Martin guckt zwar aus fast jeder Ecke ein Leguan hervor, trotzdem ist der Leguan Tree bei jeder Inselrundfahrt ein Must-Stopp. So eine Rundfahrt kann man spielend in einem Tag machen, ist das Eiland doch nur unwesentlich größer als der Chiemsee.

Die Tour zeigt eine recht karge Insel ohne die großen landschaftlichen oder kulturellen Reize.

Karibik-Insel St. Martin: Insel zum Durchatmen
Die Künstlerin Ruby Bute

Die 80 Jahre alte Künstlerin Ruby Bute sieht das freilich anders: Mit ihrer naiven Malerei packt sie Landschaft, Leben und ihre Liebe zur Insel auf weniger als einen Quadratmeter. „Es ist der Blick des Künstlers auf die Dinge“, sagt die Autodiktatin.

120 Nationalitäten

Auch die vielen Murals von jungen Wall-Art-Künstlern porträtieren Insel und vor allem Inselbewohner. Alle Gesichter zeigen vor allem eines: Menschen, die stolz und selbstbewusst sind.

120 Nationalitäten leben auf St. Martin, der kleinsten Insel weltweit, die von zwei Staaten verwaltet wird und auf der sich die Menschen dieser zwei Staaten wohlfühlen.

Die Spanier brachten 1640 ihre französischen und holländischen Gefangenen nach St. Martin. Als sich die Spanier zurückzogen, blieben Angehörige beider Nationen und deren Mutterländer beanspruchten fortan die Insel.

„Der Legende nach soll die friedliche Teilung 1648 durch einen Franzosen und einen Holländer von statten gegangen sein“, erklärt Christophe Enoch, der 1991 das erste Museum auf St. Martin eröffnete. „Von einem gemeinsamen Punkt aus gingen sie in die entgegengesetzter Richtung die Küste entlang. Wo sie sich wieder trafen, wurde zum Ausgangspunkt die Grenze gezogen, die aber nie geschlossen wurde.“

Karibik-Insel St. Martin: Insel zum DurchatmenSo ist das kleine Eiland, knapp 7.000 Kilometer von Paris entfernt, heute die Heimat des französischen Überseegebiets St. Martin und im südlichen Teil von Sint Maarten, einem autonomen Land innerhalb des Königreiches der Niederlande. Spannungen gibt es wenige, wenngleich Weiße und Kreolen meist getrennte Wege gehen.

Bezahlt wird mit dem Euro, die weinroten EU-Pässe haben beide Seiten, die Grenze überfährt man häufig, ohne es zu merken, und sprachlich vermengt sich alles zwischen Französisch und Niederländisch, Englisch und Creole.

Karibik-Insel St. Martin: Insel zum Durchatmen
Philipsburg

Jean, vor 18 Jahren aus dem Bordeaux nach St. Martin ausgewandert, sagt: „Ich bin hier in der Karibik – und doch zuhause in Frankreich“, wobei St. Martin nicht wie ein kleines Stück Frankreich in den Tropen wirkt, sondern wie eine Karibik-Inseln mit einem Schuss Frankreich.

„Ich kann zwar von hier aus Macron wählen, aber ganz ehrlich: Was in Paris passiert, interessiert mich nicht wirklich … Wir fühlen uns alle als St. Martiner!“ Und die sagen: „Ich gehe in den Norden“ oder „in den Süden“ , wenn sie le Partie française oder the dutch Side meinen.

„Abends setzen wir uns gerne in Lolos zusammen“, sagt Mighty Dow, der berühmteste Musiker der Insel, der eigentlich Sir Isidore York heißt, weil er 2012 von der niederländischen Königin geadelt wurde.

„Lolos sind einfache Kneipen, wo man am besten Bier und etwas vom Grill bestellt“. Und wie sich herausstellt wird dort auch spontan Party gemacht. Einer nimmt sich das Mikro und alle tanzen dazu.

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Mighty Dow mit einem seiner Schüler-Steel-Pan-Combos

„Mit sieben Jahren habe ich das erste Mal Steel Pan gespielt, mit zehn hatte ich das erste Konzert“, erzählt der 58-jährige Musiker aus Philipsburg. „Mit sechs alten Ölfässern kann man schon ein Konzert machen!“ Und wer es ausprobieren möchte, kann bei ihm (auch als Tourist) lernen.

„Nach vier Stunden kann man schon eine kleine Melodie spielen“, verspricht Mighty Dow, dessen Vater Holländer und die Mama Französin war. „Ich habe Steel Pan auch Richard Gere beigebracht!“ Er nimmt zwei Sticks: cc – dd – ee – ff und schon erklingen die ersten wohlklingenden Steel-Pan-Töne …

Wie beim Steel Pan geht der Alltag etwas behäbig, aber mit viel Rhythmus vonstatten, im holländischen Teil vielleicht etwas mehr europäischer und zielgerichteter.

Drängeln lässt sich aber auch dort keiner. Das Tempo der zwei Millionen Touristen pro Jahr, die vorwiegend aus den USA kommen, wird elegant ausgebremst.

Die Preise sind auf mitteleuropäischem Niveau plus anfallende Transportkosten, denn praktisch alles wird eingeführt: aus Frankreich, den Niederlanden, USA, Kanada und Obst sowie Gemüse aus dem nahen Guadeloupe.

Ob von dort in der Propellermaschine oder im großen Air-France-Airbus: Alles wird im Tiefflug nach St. Martin gebracht. Jeden Tag und immer haarscharf über die Köpfe der Besucher des Maho Beaches hinweg …

Karibik-Insel St. Martin: Insel zum DurchatmenWeitere Infos:

Inselrundfahrt: mit Quads über Stock und Stein zu Stränden und Sehenswürdigkeiten, 7 h ab 90 €, www.quadsandfurious.com
Bootstour nach Pinel Island: ½ Tag 650 € für 8 Gäste, https://bluepelicancharter.com
Steel-Pan-Kurs: pro Stunde ab 10 €, je nach Größe der Gruppe. Info und Anmeldung: ruthee11@hotmail.com
Kunstgalerie Ruby Bute: www.rubybute.com

Hotels:
Grand Case Beach Club, Mittelklasseresort im Norden mit zwei schönen Stränden direkt vor den Zimmern mit Balkon oder Terrasse, ab 220 €, www.grandcasebeachclub.com.
Orient Beach Hotel, 35 Beach Front Suiten an der traumhaften Orient Bay, ab 210 €, www.orientbeachhotel.com

Restaurant: Hibiscus, Fine Dining im Zentrum mit Panorama-Blick. Zum Lunch schaut schon mal Oprah Winfrey vorbei. 5-Gang-Menü 110 €, www.la-villa-hibiscus.fr/en.
Das Gegenteil sind Lolos, einfache, offene, typische Kneipen mit Grill, ab 10 €, in jedem größeren Dorf.

♦ Einreise: Kein Visum nötig, der EU-Reisepass genügt. Aktuelle Corona-Beschränkungen: siehe „Weitere Infos“.

♦ Flug: Man sollte unbedingt mit Air France und KLM via Paris oder Amsterdam fliegen, um umständliches und zeitaufwändiges Umsteigen (mit Imigration!) in den USA zu vermeiden, ab 700 €.

Weitere Infos: www.st.martin.org , www.vacationstmaarten.com

Text und Bilder: Jochen Müssig

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