Das Gesicht des Engels auf dem Grabmal hat schon bessere Tage gesehen. Auch die Schriften auf einer Steinplatte sind verwittert, manche Epitaphe haben feine Risse, andere Grabplatten sind mit Moos und Flechten überzogen. Die Geschichte hat sich über die Gräber gelegt und Spuren hinterlassen. Das gilt für jeden historischen Friedhof, doch dieser Gottesacker ist fast schon einmalig. Rund 90 Grabmale und weit über 200 Fragmente von Grabsteinen finden sich auf dem Friedhof im kleinen thüringischen Ort Buttstädt rund 30 Kilometer nordöstlich von Weimar.

Die reine Quantität der Zahlen ist beeindruckend. Doch erst die Qualität der Historie bringt so etwas Magie mit ins Spiel. Denn die Grabmale und Fragmente stammen von der Renaissance bis zum Klassizismus und versinnbildlichen eine Begräbniskultur von vier Jahrhunderten.

Darauf ist Erich Reiche besonders stolz. Seit fast 30 Jahren ist er Vorsitzender des Fördervereins Alter Buttstädter Friedhof. Gemeinsam mit weiteren Ehrenamtlern hat er die Anlage zu großen Teilen aus dem Dornröschenschlaf geweckt.

Außenstandort der BUGA 2021 in Erfurt

Nun bekommt dieser Garten der Erinnerung einen kleinen Ritterschlag. Er wurde neben 24 anderen Orten zum Außenstandort der Bundesgartenschau 2021 Erfurt.

Keine Beete, keine Sammlungen spezieller Pflanzen, keine Landschaftsgestaltung, dafür Zauber und Einmaligkeit, das waren die Argumente.

Eine Zeitreise nennt Erich Reiche den Gang über die Fläche. Die drei Eschen sind über zweihundert Jahre alt, die beiden mächtigen Eichen knapp 250.

„Das ist der fast einmalige Wert und Reiz dieser denkmalgeschützten Anlage“, erklärt auch Martin Baumann, Thüringens oberster Denkmalschützer für Gartenkultur. „Bereits 1537 diente er als Begräbnisplatz. 1591 wurde die als Gottesacker bezeichnete, zu klein gewordene, Fläche durch Ankauf und Abriss angrenzender Häuser erweitert und bekam mit dem Bau der Umfassungsmauern, der beiden überdachten und säulenbewehrten Arkadengängen und dem Eingangsportal das noch heute erhaltene bauliche Gepräge.“

Die ältesten Grabsteine auf dem Camposanto stammen um 1600. Das dreigeteilte Grabmal der Familie Brickener-Mattern zählt zum ältesten Objekt. Die biblischen Gestaltungen auf diesem Grabmal aus der Renaissance sind umfangreich. Engel mit Dornenkronen, eine Taube im Strahlkranz, der Leichnam Jesu auf dem Schoß Gottes.

Wenige Meter entfernt am Ende des Säulengangs findet sich ein weitaus schlichteres Beispiel aus einer anderen Epoche. Auf einer Säule aus dem Klassizismus steht eine steinerne Urne, die halb mit einem Tuch bedeckt ist. Ein Eichenlaubkranz krönt das Grabmal aus dem Jahr 1782.

Camposanto Buttstädt: Ein Garten der ErinnerungEin Camposanto in Thüringen

Der Begriff „Camposanto“ bildete sich im 19. Jahrhundert und verweist auf die große marmorne Friedhofsanlage im italienischen Pisa. Sie ist das große Vorbild aller Camposanto-Friedhöfe.

Im Osten Deutschlands gibt es nur noch in Halle und der Lutherstadt Eisleben zwei Anlagen dieser Gestaltung. Halle ist noch etwas größer und hat vier Arkadengänge.

Der dortige Camposanto gilt als Meisterwerk der Renaissance nördlich der Alpen und ist komplett erhalten. In Eisleben sollten auch vier Flügel entstehen, es wurde aber nur ein Süd- und Ostflügel gebaut.

„In Buttstädt gehen wir davon aus, dass aufgrund des abschüssigen Geländes nur mit zwei Arkaden- oder Begräbnisgängen geplant wurde“, erklärt Erich Reiche. “Buttstädt bleibt als kleine Gemeinde mit knapp 2.500 Einwohnern aber schon besonders, weil man heute nur schwer erfasst, warum ausgerechnet hier so ein Gottesacker entstanden ist.”

Buttstädts Glanz gründet sich auf Ochsen- und später Pferdemärkte. Bis zu 30.000 Tiere wurden im Spätmittelalter auf den übervollen Marktplätzen vor und in der Stadt verkauft. Es muss ein Gewimmel ohne Gleichen gewesen sein.

Vor allem die Steuern für die Tierverkäufe brachten Umsatz in die Stadt. Mit dem Friedhof wollten die Buttstädter zeigen, wer sie waren und was sie hatten. Wobei es nicht das gesellschaftliche „Who-is-who“ der Stadt war, das man hier begraben findet. Es sind Ehrenfamilien, aber auch ganz normale Leute. „Grabsteine und Särge waren damals eine teure Angelegenheit, wenn man in Archiven schaut“, erläutert Erich Reiche.

Wer den Friedhof besuchen möchte, kommt an Erich Reiche nicht vorbei. Das graue doppelte Flügeltor ist meist abgeschlossen. Der Schlüssel mit dem kleinen Spendenbeutel hängt in Erich Reiches Hof gut 150 Meter vom denkmalgeschützten Gottesacker entfernt. Wer es weiß, der nimmt ihn sich einfach. Wer es nicht weiß, der meldet sich telefonisch an und bekommt die Infos zum Schlüssel.

Text (Autor): Jens Haentzschel
Fotos: Camposanto-Buttstaed / JensHaentzschel

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